Rache ist sauer (German Edition) by Orwell George

Rache ist sauer (German Edition) by Orwell George

Autor:Orwell, George [Orwell, George]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Neue Literatur
ISBN: 9783257602494
Herausgeber: Diogenes Verlag AG
veröffentlicht: 2015-01-21T00:00:00+00:00


Gedanken über die gemeine Kröte

Noch vor der Schwalbe und den Narzissen, und nicht viel später als die Schneeglöckchen, begrüßt die gemeine Kröte den Frühling auf ihre Art, indem sie nämlich aus einem Loch im Boden kriecht, in dem sie seit dem vorigen Herbst begraben lag, und sich so schnell wie möglich zu dem nächstgelegenen Wasser begibt. Irgend etwas – ein Erschauern der Erde etwa oder vielleicht nur ein Temperaturanstieg um wenige Grade – hat ihr angezeigt, daß es Zeit sei aufzuwachen. Einige Kröten scheinen rund um die Uhr zu schlafen und hin und wieder auf ein ganzes Jahr zu verschwinden – ich selbst habe mehr als einmal mitten im Sommer eine Kröte aus der Erde ausgegraben, die offensichtlich ganz lebendig und wohlauf war.

Im Frühjahr, nach ihrem langen Winterschlaf, hat die Kröte ein vergeistigtes Aussehen wie ein strenggläubiger englischer Katholik gegen Ende der Fastenzeit. Ihre Bewegungen sind langsam, aber zielstrebig. Sie ist sichtlich abgemagert, weshalb die Augen ungewöhnlich groß wirken. Man hat jetzt Gelegenheit, etwas zu bewundern, was einem sonst entgeht, nämlich ihre Augen, die schönsten von allen lebenden Tieren. Sie schimmern wie Gold, genauer gesagt, wie einer jener goldfarbenen Halbedelsteine, die man manchmal an Siegelringen sieht und die, glaube ich, Chrysoberylle heißen.

Nach ein paar Tagen im Wasser richtet die Kröte ihre ganzen Anstrengungen darauf, durch Einverleibung kleiner Insekten ihre Kräfte wiederzugewinnen, und tatsächlich hat sie in kurzer Zeit ihre alte Größe erreicht. Soweit sich feststellen läßt, beginnt jetzt bei ihr eine Periode intensiver Geschlechtlichkeit. Vorausgesetzt, daß es ein Männchen ist, ist sie unausgesetzt bestrebt, ihre Arme um etwas zu schlingen, und wenn es nur ein Ast oder ein Finger ist, den man ihr hinhält. Sie wird ihn sofort mit erstaunlicher Kraft umklammern, und es dauert lange, bis sie begriffen hat, daß es kein Weibchen ist. Im Wasser kann man häufig Scharen von Kröten beobachten, die sich übereinanderwälzen, wobei eine an der anderen hängt, ohne Unterschied des Geschlechts. Nur nach und nach geht die Aussonderung vor sich, bis die einzelnen Paare zusammengefunden haben. Das Männchen hockt ordnungsgemäß auf dem Rücken des Weibchens. Jetzt kann man Männchen und Weibchen deutlich voneinander unterscheiden. Das Männchen ist schlanker und dunkler und hat die Arme fest um den Hals des Weibchens unter ihm geschlungen. Ein oder zwei Tage später ist der Laich abgelegt, und zwar in langen Schnüren, die sich um die Schilfpflanzen winden und bald nicht mehr zu sehen sind. Nach ein paar Wochen wimmelt das Wasser von winzigen, unzähligen Kaulquappen, die schnell größer werden, erst Hinterbeine, dann Arme entwickeln und schließlich den Schwanz abwerfen. Etwa im Hochsommer tritt die junge Krötengeneration auf den Plan, kleiner als ein Daumennagel, aber sonst in allen Teilen voll ausgebildet. Sie kriecht an Land, und das alte Spiel kann von neuem beginnen.

Ich habe vom Laichen der Kröten nur deshalb gesprochen, weil es eins der Zeichen des Frühlings ist, die den größten Eindruck auf mich machen. Und weil die Kröte, im Gegensatz zur Lerche und Primel, nie die besondere Beachtung lyrischer Dichter gefunden hat. Ich weiß, daß viele Leute



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